Gehören Sie auch zu den Genießern, die für ihr Leben gern marktfrisches Gemüse futtern? Die es aber bedenklich finden, dass wertvolle Vitamine und Inhaltstoffe beim herkömmlichen Kochvorgang verloren gehen? Dampfgaren ist das Zauberwort. Schonender, vitaminreicher und aromaveredelter geht’s kaum. Rosenkohl und Möhrchen werden es Ihnen mit bissiger Zartheit, feinem Eigengeschmack und hoher Bekömmlichkeit danken. Auch mit Fisch und Hering, Henne und Kalb klappt’s im Schongang hervorragend. Alles im grünen Bereich.
Von heiß nach warm
Es ist noch gar nicht lange her, da erweckte der Begriff gedämpftes Essen die Assoziation von klinischer Diätkost für Leber- oder Magenkranke, nach geruchs- und geschmacklosem, kulinarikfernem und weitgehend gewürzfreiem Schon-Essen. Heute, da man von Diätküche eher abrückt, wurde Dämpfen zur Trendküche. Ein stetig wachsendes Bewusstsein für Frischkost, für natürliche, unbehandelte und unverarbeitete regionale Produkte, denen Ursprünglichkeit und Frische innewohnen, trug sicherlich dazu bei. Technische Innovationen bei hochwertigem Kochwerkzeug taten ein Übriges.
Der Vitamin-C-Gehalt von dampfgegartem Gemüse soll bis zu 50 Prozent höher sein als bei Grünzeug, das den konventionellen Weg gegangen ist. Zwischen Dämpfen, Dünsten, Sieden, Garziehen, Köcheln, Simmern und robustem Kochen liegen Hitzewerte zwischen 60 und über 100 Grad. Pochieren erreicht mit 75 Grad Maximaltemperatur den Wollwaschgang-Bereich und geht liebevoll mit leicht zerfallendem Fischfleisch und sensiblen Meeresfrüchten um, die beim Dämpfen über wenig Flüssigkeit Konsistenz und Form bewahren dürfen.
Dampfgaren basiert auf einer um 100 Grad köchelnden oder siedenden Flüssigkeit, die mit ihrem aufsteigenden und mit Luft gemischten Dampf jedes Gargut wie eine zärtliche Wolke umhüllt. Fazit: Keine ausgelaugten Gemüsestücke, keine Abgabe von Vitalstoffen an das Kochwasser, kein Anbacken, Verwässern oder Überkochen, kein Gewichtsverlust (des Garguts!).
Der minimalistische Fetteinsatz spart reichliche Kalorien ein. Wobei nicht ausgeschlossen ist, dass man das gedämpfte Kochgut auf dem Teller noch mit der einen oder anderen Fettkalorie (Sauce, Butter, Dip) abrundet. Farben und Formen bleiben authentisch, die Zellstrukturen unverändert, aber energetisch so gut aufgeschlossen, dass die im Gargut vorhandenen Nährstoffe für den menschlichen Organismus besser bio-verfügbar sind.
Die Garzeit wird in Rezepten meist angegeben, richtet sich aber auch nach individuellen Vorlieben. Je weniger, umso knackiger das Gemüse, rosiger das Fleisch, purer der Fisch, weicher das Ei. Austesten!
Liebhaber einer krossen Kruste müssen allerdings Verzicht üben. Dabei hilft vielleicht die Erkenntnis, dass die oft bitteren Röststoffe, in die sie bei scharf Gebratenem unweigerlich auch beißen, Magenprobleme auslösen können. Mit der Zeit gewöhnt sich der Gaumen um und plötzlich ist Neues vertraut.
Aber
Dampfgartöpfe können mehr als dämpfen: auftauen, Obst entsaften, Speisen schonend aufwärmen, Marmeladengläser steril machen, Babykost erhitzen. Seine Fähigkeit, Speisen sanft warm zu halten, sicherte dem Steamer einen Stammplatz in der Gastronomieküche.
Spargel mit Pesto*
Noble und asiatische Gemüse nehmen besonders gerne ein Dampfbad. Keine andere Zubereitungsart bringt die Eigenart von Spargel so kongenial zur Geltung.
Wir brauchen für 4 Portionen:
1,5 kg weißen Spargel, 30 g Pinienkerne, 30 g Mandeln, 100 g jungen Bärlauch oder zarten Rucola, ½ Bund glatte Petersilie, 30 g frisch geriebenen Pecorino oder Parmesan, 100 ml Olivenöl, Steinsalz, weißen Pfeffer, Limonensaft, Prise Muskat. Dazu eine selbstgemachte Spargelbrühe aus Schalen und Abschnitten, die beim Putzen der schlanken Schönheiten anfallen.
Und so geht’s:
Alternativ: Pak-Choi, Schwarz-, China- oder Spitzkohl, Mangold, Rosenkohlsprossen, Romanesco, Kohlrabi, Auberginen, Zuckerschoten, Spinat. Als Garsud gekräuterte Gemüsebrühe verwenden, zitronige Salsas, Hollandaises oder Chutneys dazu reichen.
Latte Macchiato von Waldpilzen*
Nichts als heiße Luft?
Nicht doch! Bereits im China der Han-Zeit (206 v.Chr. bis 220 n. Chr.) wurden die antiken Vorgänger der heutigen Dim Sum-Teigtaschen in einem schrägwandigen Dampfkochtopf (
Wok), der auf einem bauchigen Topf aufsaß, auf dem Herd gedämpft. Diese Garmethode erreichte über Indien und Japan schließlich Europa. Bis heute hat sich am Grundprinzip wenig geändert: Nötig sind ein gut schließbarer Topf, in dem ein Metallsiebeinsatz oder ein Bambusdämpfer eingelegt werden können und eine Flüssigkeit, die Dampf entwickelt. Vom Papinschen Topf aus dem Jahr 1681 – dem frühesten Dampfkochtopf mit Sicherheitsventil – über den heutigen Schnellkochtopf bis zum Dampfgarautomaten mit elektronischer Steuerung dauerte es also gut 330 Jahre. Aber auch im alten Rom kannte man ein Thermopolium, und unsere Großmütter vertrauten darauf, dass ein gefüllter Wassertopf im Backofen ein Austrocknen des Bratens oder des Brotlaibs verhinderte.
Koreanischer Enteneintopf*
Asiatische Gerichte sind in der Kombination
Wok/Bambusdämpfer gut aufgehoben. Der Fond sollte die typischen Aromen widerspiegeln: Ingwer, Chili, Limetten- oder Curryblätter, Zitronengras, chinesischer Rettich, Knoblauch. Auf Salz kann man weitgehend verzichten. Wenn’s schnell gehen soll: Bambussieb mit Pergamentpapier auslegen, Gemüse darauf legen, obenauf Fischfilets oder zartes Fleisch, alles gemeinsam garen.
Clevere Dampfmacher „mit ohne“ Druck
Der Schnellkochtopf – Dampf mit Druck – der Siebziger und Achtziger ging bereits auf einen Vorfahren aus dem Jahr 1927 zurück. Fast gleichzeitig kam der
Römertopf auf, in dem sich auch größere Bratenstücke wohl fühlen. Die Beigabe von Wurzelgemüse, Tomaten, Kräutern, Pilzen oder Zwiebeln lässt ganz nebenbei auch eine Sauce schmurgeln. Mit dem Trend zur asiatischen Küche in den 1990er Jahren eroberten elektrische Dampfgarer den Markt und erlaubten mit stapelbaren Körben, mit gelochten oder planen Aufsätzen das gleichzeitige Garen mehrerer Gerichte respektive Beilagen. Konventionelle Backöfen konnten nun mit Systemdampfgarern nachgerüstet werden. In der neuesten Generation kamen Dampfbacköfen als Stand- oder Einbaugeräte auf. Wie die Mikrowelle stellen sie eine eigene Kocheinheit dar. Technische Innovationen wie Programmsteuerung, Wahlmöglichkeiten zwischen der Niedertemperatur-Garmethode bei 70-80 Grad oder einem Kombi aus Heißluft und Dampf und das Highlight - der integrierte mobile Wassertank - rücken Kochen in die Nähe eines High-Tech-Erlebnisses.
Tipps:
Grundrezept „Gedämpftes Fischfilet“ im Bambuskörbchen
Empfindlicher Fisch braucht Extra-Handling. Das Sieb einfetten oder einölen, den Garsud mit Lorbeer, frischen Kräutern, Pfefferkörnern, Bio-Zitronenschale anreichern. Bambuskorb auf eine feuerfeste große Tasse stellen, gestiftete Wurzelgemüse, Lauchzwiebeln und/oder Tomaten nach Gusto auf dem Boden des Korbes anordnen, Fischfilets auflegen, alles bei 75-85 Grad ca. 4-6 Minuten dämpfen. (Bei höherer Temperatur könnte das Fischeiweiß ausflocken) Fischsud reduzieren, mit Sauerrahm, Senf, Kräutern und Sahne verrühren.
Wolfsbarsch im Bananenblatt*
Vegetarische und vegane Rezepte, orientalische Gerichte wie Couscous-, Bulgur-, Kichererbseneintopf oder Tofugerichte profitieren vom schonenden Dampfgaren.
Kartoffelsalat*
Auch Herzhaftes und Bodenständiges gelingt tipp-topp im Dampfgarer
Alles Fleischige, das geschmort und gekocht werden kann, erklimmt gedämpft einen besonderen Geschmacksgipfel, weil nichts ausgekocht oder denaturiert wird. Tafelspitz, Roulade, Schweinsbraten, Kalbshaxe, Kaninchenkeule, Gänsebrust, Gulasch, Frikadelle, Kassler, Hühnerbrust, Wildscheinrücken, Lamm oder Entrecote, selbst Würstchen – mürber als über Dampf geht es nicht. Der Saft bleibt im Fleisch und dort gehört er auch hin. Die Zunge identifiziert erstaunt einen vielleicht noch nie gekosteten Fleisch-Eigengeschmack, unverfälscht und pur. Es versteht sich, dass der Gang zum Vertrauensmetzger sich auszahlt. Fleischstücke, die man traditionellerweise knusprig gebräunt verzehrt, bekommen unter dem Grillfeuer eine abschließende kurze Dröhnung.
Maishähnchen mit Ingwerbutter*
Kalbstafelspitz*
Und – tatá - Überraschung: Auch bei Desserts und Mehlspeisen - Flans, Marmeladen, Kuchen im Glas, Obstknödeln, Grützen, Strudeln, Tartes, Dampfnudeln, Soufflés - beweisen sich die Tugenden des Dampfgarens. Innen flaumig-farbenfroh, außen knackig-unverfälscht und voll süßem Eigenflavour – so hat man Marillenknödel noch nie geschmeckt. Und fix geht’s oben drein. Das macht Laune wie unser abschließendes Dessert:
Warmer Schoko-Cake*
Man schmeckt es rasch: Neue Wege machen den kulinarischen Horizont weiter. Dampfgaren öffnet die Tür zu unerwarteten, einen gesunden Genuss versprechenden Entdeckungen.
*Originalrezepte nachzulesen in unserem heutigen Kochbuchtipp:
- Sanft garen & Dampfgaren, Zabert/Sandmann
Text: Sigrid Jo Gruner/MissWord!