Deutsche Männer konsumieren – lt. Studie der „Deutschen Gesellschaft für Ernährung“ – wöchentlich über 1 kg Fleisch- und Wurstwaren, Frauen beschränken sich auf 600 g. Dass in dieser Wochenration auch ein Schnitzel eine nicht unbedeutende Rolle spielt – ob aus Kalb-, Schweine- oder Putenfleisch - , darauf möchte man wetten! Lange Jahrzehnte galt es als typisch deutsch. Die Wohlstandküche der Nachkriegsjahre, in denen man sich wieder gute Butter und Leckeres von der Feinkost leisten konnte, kam ohne Schnitzel nicht aus.
In Restaurationshäusern und Weinstuben delektierte man sich am „Schnitzel Holstein“, von dem nicht definitiv bekannt ist, ob der Name der Region oder einem Berliner Kommerzienrat der Jahrhundertwende, Fritz von Holstein, entliehen ist. Letzterer fiel der Legende nach regelmäßig in sein Lieblingsrestaurant „Borchardt“ mit dem Schlachtruf ein: „Vorspeise und mein Schnitzel, aber schnell, schnell!“ Der findige Koch servierte dem eiligen Herrn zwei in einem – ein frisch gebratenes Kalbsschnitzel, das von feinen Entrées umrandet wurde.
Schnitzel Holstein
In den touristischen Italienkreuzzügen der Nachkriegsjahre lernten deutsche Urlauber Italianità und Lebensfreude, Chianti und pasta asciutta kennen – und erlebten am Adriastrand mit Staunen, dass nicht nur „Wurstl con Krauti“, sondern auch das aus der Heimat geliebte Schnitzel bereits vor ihnen da waren.
Die Legende sagt, dass das Schnitzel sogar italienischer Geburt sei und als costoletta alla milanese von einem Herrn Radetzky, seines Zeichens Feldmarschall der K.u.K.-Donaumonarchie-Armee, nach dem Italienfeldzug 1852 nach Österreich eingeschleppt worden sei. Angeblich liegen die Wurzeln aber bereits im Jahre 1514, als ein Verbot erging, nach dem Speisen nicht mehr mit Gold optimiert werden durften. Die goldbraune Farbe der panadegeschützten Schnitzel-Kruste wurde zum Ersatzfetisch. Der Kenner schweigt und genießt.
Wer wollte nicht ein Original-Wiener Schnitzel kosten, wenn er die Stadt Beethovens, Mozarts und des Opernballs besucht? Bei „Figlmüller“ in der Wollstraße – wo man sich selbstbewusst als die „Heimat des Schnitzels seit 1905“ bezeichnet – hat man noch eherne Grundsätze: Das Fleisch kommt aus der Kalbs-Karreerose am Rücken. Das ist kaum sehnig und bleibt beim Braten hübsch glatt. Platt geklopft wird es mit Holz und großer Inbrunst auf einen Durchmesser von 30-35 Zentimetern. An die rosige Haut des Kalbsschnitzels kommen nur Semmelbrösel von der echt Wiener Kaisersemmel und Eier von freilaufenden Henderln. Wo Salz und Pfeffer herstammen, bleibt dunkel. Seine krosse Außenhaut und die saftige Innentextur entstehen durch das Braten in einem „nach einem alten Familienrezept gemischten Bad“ aus Pflanzenöl, und zwar in drei verschiedenen Pfannen und Reifegraden: als Auftakt erlebt das Schnitzel im brandheißen Öl eine schnelle höllische Dröhnung, dann wird es in zwei weiteren Pfannen ganz sanft gar geschmort, um die hellbraune resche Kruste nicht zu gefährden. Übrigens soll Boxstar Wladimir Klitschko bei „Figlmüller“ einmal so richtig zugeschlagen haben – gleich zwei Schnitzelexemplare vom Durchmesser 34 verspeiste er in Gesellschaft von wem oder was? – Na, gehn’s, Herr Baron, was für eine Frage! Dem Salat aller Salate.
Wiener Erdäpfelsalat
Schnitzel Grundrezept
Wir brauchen:
Kalbsschnitzel von sehr guter Qualität, pro Portion ca. 150-180 g aus dem Kalbsrücken im Schmetterlingsschnitt gewonnen, 40-50 g Mehl, Salz, Pfeffer, etwas Paprikapulver, 3 EL Olivenöl, Klarsichtfolie, Zitrone. In der Wiener Variante mit Semmelbröseln benötigen wir natürlich noch ein mit Sahne verquirltes Eigelb.
Und so geht’s:
1 Die Schnitzel zwischen zwei Lagen Klarsichtfolie vorsichtig mit dem Plattierer auf max. 4 mm flach klopfen, salzen, pfeffern, mehlen. Übrigens: Das Mehl verschließt beim Braten die Fleischporen, so tritt kein Wasser ins Fett aus. Das Bratfett (Öl, Butterschmalz, Ghee, Kürbiskern, Kokosöl) bleibt schön heiß, und das Schnitzel bräunt wie auf der Sonnenbank. Tipp: Wenn Brösel, dann diese schön trocken halten, denn das Schnitzel soll in der Panierhülle „schweben“.
2 Fleisch (Mehl leicht abklopfen) portionsweise im Öl kurz vor dem Rauchpunkt sehr heiß anbraten. Wenden, Rückseite kürzer braten, heraus nehmen, warm stellen. Tipp: Auf großzügige Fettmenge achten, die Pfanne immer mal hin- und her schwenken, die Schnitzel sanft beim Brutzeln begießen. Kurz vor dem krossen Ende einen TL Butter in der Pfanne zerfließen lassen.
3 Beim Genießen mit Zitronensaft beträufeln. Klassische Beilagen: Sardellen, Kapern und Gürkchen, Kopfsalat mit Sauerrahmdressing und/oder Petersilienkartoffeln.
Abgewandelt auf der Natur-Basis kennen wir es politisch ziemlich unkorrekt als Zigeuner- oder Jägerschnitzel, beides lange Zeit ominöse Spezialitäten, die man vor allem in Lokalen, in denen ein Schild im Fenster „Man kocht deutsch“ verhieß, als Imbiss auf Campingplätzen oder im Freibadkiosk fett- und kalorienreich zu sich nahm. Bei Gourmets gefürchtete, aber dennoch schwer beliebte „Schnitzelhäuser“, in denen XXL-Fleischfladen den Teller überlappten oder in einer Sauce aus laschen Paprikas und Dosenchampignons zu ersticken drohten, erreichten unter dem Motto: „Essen soviel reingeht!“ ihre ganz spezielle Klientel.
Heute erleben alle Schnitzelzubereitungen – pur, gefüllt oder mit einer Gemüseauflage - eine zivilisiertere Wiedergeburt, die beweist, dass ein Schnitzel eine sehr feine Sache sein kann:
Gefülltes Kalbsschnitzel
Puten-Involtini mit Schafskäse
Zigeunerschnitzel deutsch
Jägerschnitzel all’ italiana
Zu Kalb bieten sich alle italienischen Klassiker (Salami, Parmaschinken, Pancetta, Kräuter, Mozzarella, Ricotta, Parmesan) an, aber Zitrone und Salbei sind Lieblingsbegleiter. Eine fabelhafte Füllung für Kalbsschnitzel ergibt sich aus Ricotta, gehackten Schalotten, Weißbrotkrumen, Zitronenabrieb, Zitronensaft, Salz, Pfeffer und Senf. Gesellen sich auch gegrillte Salbeiblätter auf goldgelb-sämigen Parmesan-Polentaschnitten dazu, ist das Glück perfekt.
Polenta
400 ml Gemüsebrühe aufkochen, mit Salz, Pfeffer, Rosmarin abschmecken, Polentagrieß einrühren, quellen lassen. Schmeckt pur oder mit Parmesan gemischt, in Tortenstücken übergrillt.
Schnitzel Stroganoff
bezieht seinen pikant-aromatischen Charme aus einem Belag aus Morcheln, Schalotten, Champignons, Cornichons, Dillspitzen, Estragon und Sherry, der in seiner Reinkultur als „Boeuf Stroganoff“ einem russischen Adeligen der Zarenzeit zugeschrieben wird.
Vom Kinderteller MickyMaus zum Prominentenfresschen
Einen gewissen Niedergang erlebte das Schnitzel in den vergangenen Jahrzehnten, als es uncool und unschick galt, deutsch zu essen. Schnitzelesser outeten sich als gestrig und keineswegs auf der Höhe der Zeit. Man genierte sich beinahe, nach Schnitzel zu fragen, das folglich auch von ambitionierten Speisekarten verschwand. Auf Kindertellern mit fantasielosen Phantasienamen, die die kleinen Esser gewogen machen sollten, fand sich dann ein fettiges, in der Fritteuse gebackenes Stück Panade mit Fleischfüllung in Gesellschaft von ebenso schmalzigen Pommes und meist kalten Erbsen. Auch als ein in Tomatenketchup ertränktes Schnitzel-Sandwich machte es nicht gerade eine gute Figur, und Schnitzelwettessen oder Schnitzelhäuser mit Flatrate-Angeboten trugen auch nicht dazu bei, die Schnitzelehre zu retten.
Aber die Moden ändern sich rasch und alles, ja auch der Bubikopf und der Charleston, kommen antizyklisch wieder. In der postmodernen Nachwendezeit musste man sich nicht mehr genieren, in Berliner Restaurants Schnitzel zu ordern, ja es war sogar ein Must. Plötzlich saß man bei Borchardt, Lutter & Wegener oder Aigner neben Promis, die sich ungeniert an Schnitzeln in der kross-panierten Erscheinungsform und lauwarmem Kartoffel-Gurkensalat delektierten.
Kalbsschnitzel in der Parmesankruste
Das Kalbsschnitzel im Ei-Sahne-Mix und in mit Parmesan reichlich durchmischten Bröseln wenden. Vor Garende neben Butter auch Parmesan nachbessern.
Saltimbocca alla romana
Ein grundsolides Stück Schwein oder Kalb
Das Kotelett als der robustere, bodenständigere Bruder des Schnitzels oder Rückensteaks fand immer seine Liebhaber. Kenner bevorzugen das saftige, marmorierte oder leicht fettdurchzogene Fleischstück gegenüber der magereren Schnitzelvariante, weil es saftiger, aromatischer und fleischiger rüberkommt. Einfach mehr Geschmackserotik! Das gilt für Schwein und Kalb und natürlich auch für das Rinds- und Lammkotelett. Den Knochen abzuknabbern, gefällt nicht nur dem Haushund. Bei Pute und Huhn gibt es keine dem Kotelett vergleichbare Fleischpartie, aber auf dem Knochen gebratenes Geflügelfleisch ist dem glatten, supermageren und daher auch oft leicht faden Putenschnitzel, das mehr Würze benötigt, allemal vorzuziehen. Auch im Preis-Leistungsverhältnis geht der Punktsieg an das Kotelett. Geschmort mit frischen Kräutern, Tomaten, Egerlingen oder kleinen roten Zwiebeln ist es eine echte Versuchung, der man schwer widerstehen kann.
Kalbskotelett mit Artischocken und grünem Spargel
Ein veritables Festessen: Nicht zu dünne, mit Senf bestrichene, gut gesalzene und gepfefferte Kalbskoteletts scharf anbraten, dann mit kleinen Artischockenherzen (aus der Dose), 2 Tomatenhälften, Thymianzweigen, Zitrone sanft im Ofen schmoren lassen, mit gegrilltem grünen Spargel und Parmesangnocchi genießen.
Schweinekotelett mit Kümmelkraut und Paprikaschoten
Mit einem Mix aus Salz, Pfeffer, Kümmel, Majoran, Senf bestreichen, kräftig anbraten
Gemeinsam mit vorgegartem Kümmelkraut und geschälten halbierten Paprikaschoten im Rohr garen lassen. Dazu Bratkartoffeln, Kartoffelstampf oder grobes Roggenbrot.
Auch Vegetarier und Veganern müssen nicht ohne Schnitzel auskommen
Viele Gemüse – Knollensellerie, rote Bete, Aubergine, Fenchel, Steckrüben – lassen sich wie ein Fleischschnitzel „in die Pfanne hauen“ – in Eihülle, paniert oder natur. Gekräuterte Joghurtsaucen oder feurige Tomatensalsas passen prächtig dazu. Auch großflächige Pilze bieten genügend Fläche, um sich in die Pfanne gut einzufügen. In Schnitzelform gepresstes eiweißreiches Soja, Tofu und Weizen-Seitan kommen gut mariniert meist in der Wiener Variante auf den Tisch und sind – gut gemacht – für den Nicht-Kenner kaum von der Fleischversion zu unterscheiden (na ja!).
In diesen Kontext platzt eine den Genießer eher irritierende Meldung: Am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik arbeiten Lebensmitteltechniker an einem Pseudo-Schnitzel aus Pflanzeneiweißpulver. Durch Zugabe von Wasser und durch technische Aufbereitung mutiert es zum Schnitzel das sich fasermäßig von einem fleischernen kaum oder gar nicht unterscheiden und dem unbedarften Esser auch geschmacksmäßig wie ein solches vorkommen soll. Also – besser schnell noch mal zum Qualitätsmetzger oder in den Bioladen.
Text: Sigrid Jo Gruner/MissWord!
Kochbuchtipps:
Die neue italienische Küche, GU
Kochen mit Olivenöl, Essen & Trinken, Naumann & Göbel
e&t Heft 10/2012