Was steckt eigentlich hinter Slow Food? Und warum ist Fast Food nicht tot zu kriegen?
Die Schnecke ist Ihnen doch ein Begriff? Nicht die Weinbergschnecke, die tatsächlich auch gerade eine Renaissance erlebt – hier geht es um die Schnecke im Logo der „Slow Food“–Bewegung, die für das Wiedererwachen einer bewussten, qualitätsbetonten und regionalen Esskultur steht. Authentizität ist gefragt, stilvoller Genuss, Originalität und Urwüchsigkeit sind ihre Charakteristika. Auch in Europas Norden verstehen sich Food Kampagnen als Gegenbewegung zu Fastfood und Sittenverfall beim Kochen und Genießen. Überzeugte Genusstäter machen es uns vor, wie man sich strikt saisonal, regional, moderat und dennoch vielseitig, gesund und genussbetont ernähren kann. Ökologie und Artenvielfalt sollen geschützt, die regionalen Nahrungserzeuger gefördert werden. Gute Argumente für eine Entschleunigung des Ernährungskreislaufs.
Langsamer schmeckt’s besser!
Die Slow Food macht sich auch für den Erhalt der historisch verwurzelten regionalen Nahrungsspezialitätenvielfalt und der Wiederbelegung traditioneller Verarbeitungsmethoden stark. Das Hinterwäldler-Rind ist daher keine Phantasmagorie – das eher kleinwüchsige Rindvieh wächst um den Feldberg herum zu einem prächtigen Fleischlieferanten heran. Und nur hier im Südschwarzwald findet es die idealen Lebensbedingungen, die das Leben als tierischer Landschaftspfleger auf sensiblen Naturschutzflächen so lebenswert macht für diese alte, fast ausgestorbene Rinderrasse. Sie belohnt den regionalen Verbraucher mit feinfaserigem, vollsaftigen Steaks und mürben Schmorbraten. Auch die Milch der Hinterwäldler-Kuh respektive die daraus gewonnenen Käse gelten als Delikatesse. Raritäten, die nur wenigen vorbehalten sind, denn das Rind wird nur regional vermarktet – aus gutem Grund.
Kalbssteak mit Haselnussbutter
Kalbshaxe im Römertopf
Ein ähnlich naturgemäßes Leben ist den bayerischen Turboljeschweinen und Alpinen Steinschafen vergönnt, die so ursprünglich und freigehalten wie möglich im Dienst gesunder und sauberer Ernährung weiden. Auch die Bienen in der Imkerei der Bucher Alm in Fischbachau, die Werdenfelser Rinder und die Leitzachtaler Ziegen – alles probate Beispiele wie es auch jenseits von industriellen Massentierhaltungen bestens für Mensch und Tier funktioniert.
Die Vierländer Platte (eine eher formlose, orangefarbige Tomate, die ihren einförmig glatten roten Artgenossen aus Benelux in der Fülle an Geschmacksaromen weit voraus ist) kommt nach Jahrzehnten des Vergessens in der namensgebenden Region wieder auf den Tisch, auch Lerchenzungen (Grünkohl), Türk’sche Erbsen und der Hohländer Lederkäse oder die Martfelder Magenwurst finden sich bei traditionell orientierten Ernährungshandwerkern wieder. Letztere löste als eine herzhaft gewürzte Delikatesse in früheren Zeiten bei Hausschlachtungen ausgelassene nachbarschaftliche Festgelage aus: Schweinsmagen, der mit magerem Fleisch aus der Schweinsschulter, Speck, Hafergrütze, Brühe und Zwiebeln gefüllt, gekocht und geräuchert wird, bevor er mit Grünkohl in Verbindung kommt. Ganz klar eine Spezialität rundum Bremen.
Das Stuttgarter Ochsenfest 2014 zu Ehren des Limpurger Rinds rankte sich ganz und gar um das urwüchsige Weidetier. Die Menüfolge aus rohem Tartar, Ochsenessenz, gebackener Praline von der Färse, Roulade mit Selleriecreme wurde mit einem Dessert aus Nüssen und Maronen kongenial beschlossen.
Das rauwollige, bedürfnislose Pommersche Landschaf kommt auf Rügen wieder zu Ehren. Wegen seiner hohen Anpassungsfähigkeit an karge norddeutsche Böden wurde es bis in die 50er Jahre hinein massenhaft gezogen, verschwand dann aber nach und nach. Heute ist sein schmackhaftes Fleisch mit wildähnlicher Anmutung eine begehrte Rarität.
Lammkeulen gesotten
Das Wappentier der Slow-Food-Bewegung
Nicht nur für österreichische Gourmets, bewusste Esser und Foodies bietet die Wiener Slow-Food-Küche alles rund um die Schnecke auf: Weinbergschnecken in Weißweinfond, Schneckenbeuschel, Schneckenleber oder weißen Schneckenkaviar de luxe. Hmm ... grübel! Ein bisserl abgehoben ist das schon, aber geh – Wiener Schmäh! Die feinen Mini-Weichtierchen knabbern in Schneckenfarmen im Süden Wiens an einem ausgewogenen Futtermix aus Raps, Klee, wildem Thymian und Mangold, naturnah und ökologisch einwandfrei. Pflanzenschutzmittel gelangen nicht in die Schnecke, denn die Wiener Sterneköche, die diese Rarität verarbeiten, legen Wert auf höchste Qualitätsfrische und ökologische Unversehrtheit der köstlichen, wenn auch etwas schleimigen Schleicher. Eine der wirklich feinen Wiener Küchen, die sich der Schnecke widmen, das „Steirereck“, schaffte es in der urwüchsigen Location einer alten Meierei im Jahr 2012 auf Platz 11 der Weltbestenliste des renommierten britischen „Restaurant Magazine.“
Schneckenragout Alt-Wien*
* Originalrezept: G.W. Sievers, Schneckenkochbuch
Auch die Genießer hierzulande können aus speziellen Zuchtanlagen Weinbergschnecken beziehen, die sich ihr Leben lang vollkommen gesund – von Rüben, Zichorien und Sonnenblumen – ernährten. Schnecken graben sich im Herbst in den Boden zum Winterschlaf ein und legen dort im Frühjahr ihre Eier ab. Außer Kalk, den die Schnecken zum Wachstum ihres Schneckenhauses und zur Eierproduktion benötigen, wird dem Boden nichts zugefügt. Schnecken sind kolossale Tierchen, die über Tausende (!) von Zähnchen ihr Futter zerreiben und nur einen Fuß haben, von dem aus dem sie aus einem Auge in ihre beschränkte Welt blicken. Als Wunder der Natur sind sie gleichzeitig Männchen und Weibchen und bringen nach einem Jahr Adoleszenz gerade einmal 30 g Lebendgewicht auf die Waage (exklusive Schneckenhaus, versteht sich). Sie beinhalten viel Eiweiß, kaum Fett und minimal Kalorien. Eigentlich ein Slim-Food, aber doch eher eine Rarität für die besonderen Genussmomente.
25 Jahre Slowfood – Fine Food für Elitäre oder Qualitätsfutter für alle Klassen?
Das ist etwas despektierlich, aber wahre Größe ficht das ja nicht an, wie wir seit Schiller wissen. Was im Juli 1986 von Carlo Petrini im italienischen Piemont, genau genommen im Örtchen Bra, als lokale Initiative „Agricola“ inmitten von Weinbergen ins Leben gerufen wurde, hat sich als Feldzug gegen die „Verirrungen der Agrar- und Lebensmittelindustrie“ längst weltweit verselbstständigt. Als internationale Organisation kann Slow Food auf 100.000 aktive Mitglieder in 150 Ländern bauen. An den Prinzipien hat sich auch nach fast 25 Jahren nichts geändert:
Lob der Langsamkeit. Gut. Sauber. Fair.
Der Schlachtruf „Entschleunigung“ ist ja längst in unserem Sprachgebrauch eingekehrt. Wenn wir damit die Drosselung unseres Lebenstempos und Leistungsaufkommens meinen, das „Sich-Einmal-Zurücklehnen“ oder „Nicht-Alles-Mitmachen-Müssen“, ist es keine schlechte Idee, damit bei der Ernährung zu beginnen. Es gibt eigentlich nichts Alltäglicheres als zu essen – wer es nicht tut und das über längere Zeit, wird es schnell bitter bereuen. Wer es nachlässig und lieblos tut, auch. Sich in guter Gesellschaft um einen Tisch zu versammeln und gemeinsam Natürliches zu genießen ist eine simple, aber tiefe und nachhaltige Freude.
Dass mit der Betonung auf Jahreszeitenproduktion und regionaler Herkunft bei der Wahl der täglichen Nahrungsmittel dem Kreislauf der Natur Gutes getan wird, steht außer Frage. Aber Produkte mit authentischem Charakter zu verwenden, bedeutet auch die regionalen Wirtschaftskreisläufe in Gang zu halten und die Menschen stärker an ihr regionales Umfeld zu binden, über alle Sinne, haptisch, genüsslich, olfaktorisch.
Fast Food – und so begann es
Wo immer eine neue Bewegung auftrumpft, wächst auch eine Gegenbewegung – früher oder später. Nicht nur in hippen Berliner Stadtvierteln wie Prenzlberg und Kreuzberg, Friedrichshain und Mitte wachsen neue Burgerlokale aus dem Boden wie Pilze im Regen. Vordergründig erfinden sie alle irgendwie den Burger neu – aber er bleibt dennoch das was er immer war – Fastfood.
Dabei gibt es doch die gute alte Berliner Bulette wie bei Muttern in Wedding:
Die 1950-er Jahre brachten das Fast Food hervor. Es galt, die Menschenströme in schnell wachsenden Großstädten rasch, kostengünstig und nachhaltig satt zu machen. Schnelligkeit ist natürlich noch heute ein Argument für erschwingliche, im Gehen zu konsumierende Convenience Küche, die zudem den Reiz des Verbotenen in sich trägt. Reichlich Fett, Zucker und Aromastoffe machen sie zum potenziellen Suchtfaktor und trendy ist sie immer noch – von der Currywurst über Falafel bis zum Sushi.
Der Begriff Fast Food schillert und ist älter als man denkt. Die Wurzeln reichen in die Zeit der industriellen Revolution und der Verstädterung. Die ersten industriell hergestellten Food-Konzentrate hatten Väter aus der Chemie und der Pharmazie, die Henri Nestlé, Julius Maggi, Justus Liebig und Carl Heinrich Theodor Knorr hießen. Die frühen Fast Food-Produkte, die weltweit Absatz fanden – Milchpulver, Babynahrung, Erbswurst, Kondensmilch und Suppenwürfel – hatten einen caritativen Hintergrund – die darniederliegende Ernährung der minderbemittelten Schichten im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts sollte nahrhafter gestaltet werden. Bald war der massenhaften Erfindung und Produktion von standardisiertem Fastfood Tür und Tor geöffnet.
Bereits 1866 füllte ein Berliner Koch Würste mit einem konzentrierten Brei aus Erbsmehl, Zwiebeln, Speck, Gewürzen und Nierenfett. Im Krieg 1870/71 gegen Frankreich stärkten sie die Kampfkraft der Truppe. Die aufstrebende Werbewirtschaft verhalft der neuen Surrogat-Kost zu großer Verbreitung, mit rührend-unbeholfenen Werbeslogans, für die auch Dichter wie Frank Wedekind verantwortlich waren: „Vater, mein Vater, ich werd’ nicht Soldat, derweil man bei der Infanterie nicht Maggi-Suppe hat!“ Heute vertreibt allein Nestlé weltweit eine Milliarde Einzelprodukte täglich. Vom ursprünglichen Gedanken der Verbesserung der Volksgesundheit hat sich der Konzern ganz hübsch entfernt. Wenn die Slow-Food-Kampagne gegen „Plastikfutter, das eigentlich niemand braucht“ angeht, mutet dies immer noch wie ein Kampf David gegen Goliath an.
Dass Tütensuppe, Maggiwürze und Erbswurst über die Jahrzehnte nicht nur in den Supermarktregalen verweilen, sondern auch den Weg in die Haushalte finden konnten, beweist, wie zäh sich Kochgewohnheiten halten. Dabei ist es doch so einfach, aus Naturzutaten und einer verlockenden Fülle an Gewürzen, natürlichen Aromen und Kräutern ein feines Süppchen herzustellen.
Herbstliche Suppe aus Erbsen, Linsen und Kürbis *
* Originalrezept bei Yvette van Boven, Home made. Winter. DUMONT
Scharfe Erbsensuppe mit Minze-Kick
Das Pendant – Kartoffelsuppe
Und die Moral aus der Geschicht’: Langsam und einfach genießen – und sich auf die Klassiker besinnen, auf die hochwertigen Rohmaterialien, die beinahe vor der eigenen Haustür wachsen (Stichwort: Urban oder Home Gardening) oder in nächster Umgebung aufgezogen werden.
Im nächsten Beitrag fragen wir uns, was die Neue Nordische Küche so sensationell macht und was wir für unsere eigene Küchenpraxis daraus adoptieren können.
Text: Sigrid Jo Gruner/MissWord!