Wein vergoldet uns den Herbst. Wenn die frischen Walnüsse geknackt werden wollen, der pubertäre Einjährige und der übermütig-aufbrausende Federweiße die Korken hochdrücken und die Sonne sich noch einmal so richtig aufbäumt, dann öffnen die Straußwirtschaften und alles ist gut.
Wie fad wäre das Leben ohne ihn!- Die alten Römer brachten Reben nach Germanien, um sich den Aufenthalt in der barbarischen Provinz zu angenehm wie möglich zu machen. Welch Glück, dass der Wein an Rhein, Mosel und Ahr das Römische Reich überdauerte und überall, wo ihm Klima und Böden günstig waren, Wurzeln schlug.
Wandern. Einkehren. Genießen.
Wein ist aus der ambitionierten Küche nicht wegzudenken. Sensibler Begleiter vieler Speisen, Seelentröster und Feierabendgenuss, hat er im Herbst seine Hauptgeschäftszeit. Wer das Glück hat, in einer Weingegend zu leben, kennt sie, die Strauß-, Besen-, Häcker- , Kranz- oder Buschenwirtschaften - heimelige Oasen der Lebenslust, die ihren Namen vom Besen oder Buschen ableiten, der als Signal des Saisonauftakts am Hoftor angebracht wird.
Ihr besonderer Reiz liegt darin, sich rar zu machen, nur in bestimmten Zeiten die Tore zu öffnen und ausschließlich eigene Erzeugnisse auszuschenken. Nicht selten verzichtet man hier auf veräußerlichte Zeichen von Esskultur wie Messer und Gabel, und in einer die Verbrüderung fördernden Enge kann es deftig zugehen. Dann drängeln sich in Heuschober oder weinumranktem Fachwerkhof, im umgebauten Stall oder rasch ausgeräumten Wohnzimmer angeregte Menschen, die (meist) einen ausgedehnten Fußmarsch über Weinberge, Felder und Bäche hinter sich haben und sich dementsprechend durstig, hungrig und laut gebärden dürfen.
Den Wein des Gutsausschanks begleiten regionale Deftigkeiten wie Blut- und Leberwurst, Häckerbrotzeit, Spundekäs in Rheinhessen, Saumagen in der Pfalz, Maultaschen mit lauwarmem Kartoffelsalat in Württemberg und Blaue Zipfel oder Gerupfter im Fränkischen. Wenn die jungen Winzerinnen das Sagen haben, trifft man auf mediterran Angehauchtes wie überbackenen Ziegenkäse mit frischen Feigen, Datteln im Speckmantel, Olivenbruschetta, Serranoschnittchen oder Parmesantaschen.
An der Mosel liebt man zum einfachen, trockenen Elbling, Riesling oder Rivaner das köstliche Tresterfleisch, Zwiebelkuchen oder Schnecken in Moselweinteig. Als Dessert Weinbergpfirsiche in Gelee.
In Baden kann nichts den Schwarzwälder Schinken oder eine frisch geräucherte Forelle zum jungen Weißburgunder toppen, Brägele (Bratkartoffeln) und Flammekuchen sind vom nahen Elsass rübergeschmeckt, und die badische Brotsuppe dämpft den Alkoholgehalt. Am Kaiserstuhl schmeckt die Badische Weintorte aus Schwarzbrot, Mandeln, Zitronen, Zimt und Wein zum feinherben Gutedel.
In Österreich süffelt man zur Kaminwurz den Heurigen, die Schweiz kennt die Besenbeiz, wo trockener junger Weißwein sich mit Ofen-Raclette vermählt.
Ein Stück Gugelhupf (flaumiger Rührkuchen aus Bierhefe mit Rosinen und Mandeln) tunkt man im Elsass in einen nicht allzu trockenen jungen Wein mit Charakter. Das herzhafte Gegenstück ist die Tourte (Pastete) au Riesling aus Blätterteig, Schweinebraten, Zwiebeln und Elsässer Riesling. Auch in die Choucroute alsacienne fließen reichlich Riesling, Silvaner, Pinot Blanc oder Edelzwicker. Eine Entenleberterrine ist immer richtig, ein Münsterkäse umarmt den gehaltvolleren Gewürztraminer so inbrünstig wie ein Pinot Noir die Wildsalami, und die heimischen Kastanienbäume werfen ihre Früchte für ein aromatisches Maronenmousse ab.
Schnecken in Weinteig
Weinbergschnecken aus dem Glas abtropfen lassen, mehlen. Für den Teig 20 g Hefe mit einem Eigelb, Salz, 100 ml Weißwein und 50 g Mehl verrühren. Schnecken durch den Teig ziehen und in heißem Sonnenblumenöl ausbacken.
Geflügelleberterrine
1 kg Gänse-, Enten- und Hähnchenleber säubern, ein Viertel davon salzen, pfeffern, in Cognac oder Portwein einlegen. Rest der Leber gekühlt fein pürieren, mit einem Mix aus süßer Sahne und Eiern vermischen, geriebene Muskatnuss und Koriander einmengen. Terrinenform mit Speck polstern, Farce einfüllen, die eingelegten Leberstücke hineinversenken, alles mit Speck abdecken. Die verschlossene Form im Wasserbad bei 175 Grad im Backofen garen. Kongeniale Begleiter sind Madeira-Pflaumen, Himbeergelee, Holundermus oder Armagnac-Birnen.
Choucroute
Das legendäre elsässische Sauerkrautgericht ist ein Angriff auf alle guten Vorsätze. Die Basis bildet feinstes Sauerkraut, das mit Zwiebeln, Gänseschmalz, Knoblauch und Gewürzen (Nelken, Wacholder, Koriander, Lorbeer, Pfeffer), ordentlich Weißwein und feiner Bouillon sanft und lange gedünstet wird. Eine gute halbe Stunde vor Garende Kasseler-Scheiben, Schweinsschäufele, grobe Schinkenwürste, Leberklößchen, geräuchertern Speck, dicke Schinkenscheiben und/oder Eisbein obenauf legen und mitschmoren. Kartoffeln können nicht schaden ebenso wie nach begangener Völlerei ein, besser zwei Gläschen Birnenbrand. Alternative: Choucroute mit feinem Fisch oder Meeresfrüchten.
Maronenmousse
8 Eigelb mit Zucker schaumig schlagen, mit heißer Milch begießen, unter ständigem Rühren erhitzen und eindicken.8 eingeweichte und ausgedrückte Gelatineblätter in der Creme durch Rühren auflösen. Masse kühl stellen. Maronencreme aus dem Glas mit 4 El Cognac veredeln, zerbröckelte leichte Nussmakronen unterheben und zusammen mit steif geschlagener Sahne in die Creme einbringen. Köstlich gut gekühlt.
Über den täglichen Umgang mit Wein
Rot zu Fleisch, weiß zu Fisch? - Neuerdings wird in feinen Restaurants zu Kaviar nicht nur der gewohnte eisgekühlte Wodka oder Champagner, sondern auch ein halbtrockener Riesling Kabinett von Mosel/Saar/Ruwer oder eine trockene Rieslingauslese von der Pfalz empfohlen. Die alten Regeln sind im Fluss - erlaubt ist, was schmeckt und was bekommt. Halbtrockene Weißweine zum Wild oder frische, leichte Rotweine zum gebratenen Fisch - why not? Zur Gretchenfrage, wie lange ein Wein reifen muss, beklagte schon Berufs-Esser Wolfram Siebeck, dieser frühe Vorkämpfer für die Renaissance des deutschen Weines, dass Weißweine oft zu jung, Rotweine zu spät getrunken würden.
Wein & Käse - ein Ritual
Zum Käsewagen, der nach dem Dessert an den unwissenden Gast heranrollte wie das Gewitter einer Haubitze, wurde in der Vergangenheit der beste und älteste Rote empfohlen, den sich der Gast so gerade noch leisten konnte, und zwar bis kurz vor dem Siedepunkt erwärmt. Die Folge: Intensiver Blauschimmelkäse, cremiger vollfetter Weichkäse oder rotschmieriger Münster bescherte dem teuren Tropfen einen frühen Tod . Der immense Fettgehalt reifer, massiger Käse, die zweifellos ein Genuss sind, ist geradezu prädestiniert, die menschlichen Geschmacksrezeptoren zu verstopfen und dem schweren Rotwein keine Chance zu lassen.
Heute geht man dazu über, je nach Käse-Beschaffenheit säurebetonte, kräftige, auch feinherbe oder restsüße Weißweine oder Rosés zu reichen, die es mit dem Käse aufnehmen können. Rotweintreue wählen fruchtige, junge Rote zu leichtem Käse, Rotweine mit Restzucker zu cremigem Stinkern. Alter Bordeaux zu Schimmelkäse sei ein Vergehen gegen die Menschheit, meint Weinexperte Manfred Klimek. Gegen einen reifen Burgunder zu einem Livarot, Comté oder Pont l’Evêque hat er aber nichts einzuwenden.Übrigens - zu Nahrungsmitteln, die sich mit Wein überhaupt nicht vertragen, gehören Zitrone-Betontes, Tomaten, Artischocken, Eier, Kapern und Vinaigrette.
Dekantieren - Schaulaufen des Sommeliers oder Notwendigkeit?
Der Wein kommt. Der Maître präsentiert die Flasche wie ein Heiligtum, entkorkt mit einem Sommeliermesser, dessen Silber die Augen blendet, hantiert effektvoll mit dem Weinthermometer, das 24 Grad anzeigt, dekantiert mit Delikatesse unter ständigem Drehen und Zurateziehen einer Kerze, schnüffelt angestrengt und gurgelt kritisch, bevor er es für angebracht hält, das Glas des Gastes zu bedenken, der ihn hechelnd beobachtet. Wenn er es nicht ohnehin vorzieht, dem Wein (und somit auch dem Gast) eine Stunde Wartezeit aufzuerlegen.
Eines vorweg: Ein funktionstüchtiger Korkenzieher oder ein Sommeliermesser von ästhetischem Aussehen, ein Weinkühler und ein Weinthermometer machen durchaus Sinn!
Aber einen Rotwein bei Zimmertemperatur von 24, 25 Grad zu servieren eher nicht. Die Regel wurde geboren, als in den Etagenwohnungen mangels Wärmedämmung eine Temperatur von 16-18 Grad nicht überschritten wurde oder noch früher, als man im Esszimmer gar nicht heizte. Heute brillieren leichte Rotweine bei 14 Grad, ein alter spanischer oder chilenischer Riserva erlebt seinen Höhepunkt bei maximal 20 Grad. Umgekehrt erfrieren im Weißwein bei einer Temperatur nahe dem Gefrierpunkt alle Geschmacksknospen. 10 Grad dagegen lassen die ganze Bandbreite der Aromen aufblühen. Spritziger Sekt zu lau angeboten wird nölig.
Einen hochwertigen Wein (rot oder weiß) in eine Karaffe zu dekantieren soll verhindern, dass verbleibender Bodensatz sich mit dem edlen Körper verbindet und nicht das erste, aber vielleicht das zweite Glas trübt. Auch soll der Kontakt des Weines mit Sauerstoff für Tiefgang sorgen.
Andere Meinungen halten dagegen, dass der Sauerstoff den Wein vernichte und eine Stunde Durchatmen ihn frühzeitig dahinraffe. Einer Flasche Wein nach dem schlichten Entkorken 10 Minuten Zeit zu geben, um sich zu akklimatisieren, sei völlig ausreichend. Ein Weinfilter hilft, wenn die angebrochene Flasche sich ihrem Ende zuneigt. Alter Wein solle grundsätzlich nicht dekantiert werden, allenfalls junger Wein, dem zu früh der Flaschenhals gebrochen wurde. Aber da kämen wir ja schon zur nächsten Todsünde.
Exkurs: "Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken!"
Wer hat’s gesagt? Na, Goethe, wer sonst. Ihm kann man nicht nachsagen, dass er einen guten Tropfen verachtete. Als Dichterfürst konnte er sich diesen auch leisten. Im Frankfurter Elternhaus, das über einen sehr honetten Weinkeller verfügte, wurde bereits der Zehnjährige mit Wein vertraut gemacht. Die Legende sagt, dass den Neugeborenen, den die Hebamme schon aufgegeben hatte, ein Weinbad ins Leben zurückrief.
Goethe war Genießer, Kenner und Vieltrinker zugleich. Seine Lieblingskreszenzen ließ er sich vom Mosel-Weingut Brentano, das noch heute einen "Goethewein" vermarkten darf, nach Weimar schicken und den Franken-Riesling "Würzburger Stein" ins Kurexil nach Karlsbad. Thomas Mann lässt die Werther-Liebe Lotte in Weimar in seinem gleichnamigen Roman minuziös und kopfschüttelnd auflisten, dass sich der in die Jahre gekommene Geheime Rat zum Mittagessen ein gerüttelt Maß an Rheinwein, Burgunder, Champagner und Vino Tinto genehmigte. Sie selbst nahm bei diesem legendären Wiedersehen nach 40 Jahren ausschließlich Egerer Wasser zu sich.
Goethe soll sich schon beim Frühstück mit Champagner delektiert haben und noch eine halbe Stunde vor seinem Hinscheiden verlangte er nach einem Glas Wein, allerdings verdünnt, was zur damaligen Zeit nicht unüblich war. Man trank den ohnehin alkoholärmeren Wein in raueren Menge als heute. Das Trinkwasser war vielerorts so miserabel, dass man es nur mit Wein verpanscht genießen konnte.
Zu Tisch bei Goethe (Aus Mutter Goethes Kochbüchlein)
Als Prolog vielleicht die Weinsuppe aus gedünsteten Schalotten, Estragon, Rinderbrühe und trockenem Weißwein, die mit Ei und Sahne legiert und mit Croutons gekrönt wurde? Nach einem Entre’acte aus Lachs in Rieslingaspik zu einem vollmundigen Roten die Haupthandlung: Hirschmedaillons mit Holundersauce und Apfelgemüse. Dafür nicht zu dünn geschnittene Hirschmedaillons im erhitzten Butterschmalz anbraten, warm stellen. Holunderbeeren im Bratenfonds anschwitzen, mit einem guten Schuss Burgunder und mit Sauerrahm abbinden, salzen, pfeffern. In Butter geröstete Sonnenblumenkerne zusammen mit Apfelschnitzen dünsten und alles mit Calvados ablöschen.
Abschließend ein deliziöses Gedicht aus einem federleichten Weinschaum, für den fruchtiger Weißwein mit Zucker, Zimt, Zitronenschale schaumig aufgeschlagen, auf kleiner Flamme erhitzt und dann in einer kalten Schüssel weitergerührt wurde, um mit Mandelmakrönchen verziert zu werden.
Wein in Maßen - ein gesundheitsförderndes Lebenselixier?
Ob der weise Geheime Rat bereits ahnte, dass im Wein nicht nur Wahrheit, sondern auch Gesundheit liegt? Zumindest behaupten dies die Ergebnisse neuerer Langzeitstudien aus den USA, die 2009 auf einem internationalen Herzkongress in München für Aufregung sorgten. Demnach soll Wein u.a. Herzinfarkt entgegenwirken, weil er den LDL-HDL-Cholesterin-Quotienten positiv beeinflusse.
Neu sind diese Vermutungen nicht. Schon Hippokrates galt Wein als Heilmittel, und Ende des 19. Jahrhunderts gehörte er noch zum Standardrepertoire einiger Krankenkassen. Erst die Segnungen der aufkommenden Pharmazie vertrieben ihn aus der Apotheke.
Wein enthält reichlich Nährstoffe, Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemene. Darüber hinaus wirken die in Wein enthaltenen Polyphenole, die als vitale Antioxidantien angesehen werden, hochprozentig gegen Zellverfall und das Immunsystem stärkend. Moderat dosierter Genuss scheint Weintrinker daher gegenüber Bier- und Spirituosenliebhabern gesundheitlich zu begünstigen.
Wein beschwingt, Bier macht müde?
Unter Dichtern und Schriftstellern gibt es wohl nur wenige Wein-Asketen (Schiller allerdings inspirierte sich durch Schnüffeln an verfaulenden Birnen, und Jean Paul kam nicht ohne sein Bayreuther Bier aus den Puschen). Wein beflügelt. Während der Kopf sich mit lustigen Gedanken füllt, verfallen die Füße in Tanzschritte, die Zunge löst und das Gemüt erwärmt sich. Offensichtlich eine höchst erstrebenswerte Daseinsform.
Das Schlusswort hat Poet Robert Gernhardt: "Flascherl Wein, Flascherl Wein, wirst gar bald geleeret sein, denn ich brauche pro Gedicht grad ein Flascherl und mehr nicht!"
Na, dann - Cheerio, Miss Sophie!
Text: KochForm/Sigrid Jo Gruner